In eine gelungene Übersetzung fließt viel Hirnarbeit – die Liebe zum Detail und das Spielen mit Worten sind für die Kunst des Übersetzens unerlässlich. Wem das Probleme bereitet, der ist im falschen Job.
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Der Geist einer Sprache offenbart sich am deutlichsten in ihren unübersetzbaren Worten.
Marie von Ebner-Eschenbach
Die Frau im Fernsehen war etwa Mitte 50, saß in einer bieder eingerichteten Küche am Tisch und erklärte dem Fernsehpublikum ihre Erziehungs- und Lehrpolitik. Streng und diszipliniert, sagte sie, denn „aus dem Bub soll ja einmal etwas werden“.
Menschen, die nicht beruflich übersetzen, nehmen diesen Satz wahr, ohne ihm spezielle Aufmerksamkeit zu widmen. Ich aber, als professionelle Übersetzerin, spitzte die Ohren. Es gilt als wohlbekannte Berufskrankheit, Fernsehserien, Filme sowie Bücher (und auch Gespräche) „live“ mitübersetzen zu müssen. Auch diesmal siegte Beruf(ung) über sanfte Berieselung und ich stellte mir die Frage: Wie würde man „aus ihm soll einmal etwas werden“ auf Englisch sagen?
Die wörtlichen – und sehr unrühmlichen – Übersetzungsvarianten, die ich in meinem Kopf durchspielte (à la „something should become of him“) hatte ich a) noch nie gehört und b) klangen nicht wie gutes Englisch. Dieser Satz beschäftigte mich tatsächlich ein paar Tage lang. Warum aber? Schließlich ist diese Phrase jedem Menschen mit deutscher Muttersprache geläufig, wir wissen also, was die Aussage dahinter ist. Aber ist das wirklich so? Was genau ist denn aus einem Kind geworden, aus dem etwas geworden ist?
Natürlich hatte ich meine Vorstellungen und Überlegungen, aber da es der Berufsethos so vorschreibt, tauschte ich mich darüber mit Kollegen aus. Sie bestätigten mich in meiner Interpretation, dass jemand, aus dem etwas geworden ist, ein erfolgreicher Mensch ist und zwar hauptsächlich im beruflichen Bereich. Ich konnte mir nun ein bisschen besser vorstellen, wie ich es auf Englisch sagen würde – denn ich hatte nun den Sinn, das, was gemeint ist, verstanden.
Will man ein Wort, einen Satz, einen Text erfolgreich übersetzen, so muss man zuerst den Sinn der zu übersetzenden Elemente verstanden haben. Man muss wissen, was der Autor meint, um dessen Botschaft akkurat an die Zielgruppe transportieren zu können.
Denn Übersetzen bedeutet nicht, nur Wörter in einer anderen Sprache wiederzugeben, sondern über Kulturbarrieren hinweg auch den Stil und die Informationen an die Leser zu übermitteln.
Übersetzen bedeutet, über Kulturbarrieren hinweg auch Stil und Informationen zu übermitteln.
Hinzu kommt noch, dass die Übersetzung (= das Translat) nicht immer dieselbe Funktion erfüllt bzw. erfüllen soll wie der Originaltext. Es ist nicht ungewöhnlich für uns Übersetzer, einen Auftrag zu bekommen, in dem wir einen fachlichen medizinischen Text (geschrieben von Personen mit medizinischem Wissen) für eine Info-Broschüre (für medizinische Laien) aufbereiten sollen.
Besonders bei Texten, die informieren und instruieren sollen, fällt besonders stark auf, wie wichtig es ist, das zu verstehen, was man übersetzt und infolge schreibt. Verstehe ich einen fachlichen medizinischen Text nicht, kann ich daraus kaum die Informationen filtern, die für medizinische Laien wichtig sind – und kann ich das nicht, erfülle ich meinen Auftrag nicht und verbreite mitunter falsche Informationen. Das wäre fatal für mich (zumindest Rufschädigung) und eventuell für alle, die sich nach meiner Übersetzung richten.
Wie schon aus dem letzten Absatz ersichtlich wurde, reicht es fürs Übersetzen nicht aus, „nur“ mindestens zwei Sprachen perfekt zu beherrschen. Verstehen wir den Text oder einzelne Stellen nicht auf Anhieb, so setzen wir noch einige andere Superkräfte ein, die uns das Verstehen ermöglichen sollen.
Dazu müssen wir …
Abschließend kann festgehalten werden, dass in eine gelungene Übersetzung viel Hirnarbeit fließt – die Liebe zum Detail und das Spielen mit Worten sind für die Kunst des Übersetzens unerlässlich. Wem das Probleme bereitet, der ist im falschen Job.
Übrigens: Sollte ich „Aus dem Kind soll ja einmal etwas werden“ jemals für einen Auftrag übersetzen müssen, so werde ich eine der folgenden Varianten wählen: „I want that boy to succeed in life“, „I want that kid to go places“ oder „I want him to become a winner“.
Über die Autorin
Tanja Feldhofer ist freiberufliche Übersetzerin und hat somit ihre Leidenschaft für Sprachen zum Beruf gemacht. Tatsächlich dreht sich auch ein beträchtlicher Teil ihrer Freizeit um das geschriebene Wort und um Weiterbildung im allgemeinen. Ihr Wissensdurst scheint unstillbar. Für bildungsraum verfasst sie Blogbeiträge und erstellt Texte aller Art.
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