Per Sie oder per Du – die Anrede im Geschäftsleben

Per Sie oder per Du - die Anrede im Geschäftsleben

May I say you to you?
Über die schwierige Entscheidung zwischen Du und Sie.

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1977 sorgte ein schwedisches Möbelhaus in Österreich für Furore: nicht nur dadurch, dass ein völlig neues Verständnis von Möbeln und deren Präsentation transportiert wurde, sondern auch durch das konsequente Duzen der Kunden in der Bewerbung. Das war im stilsicheren, titelverliebten Österreich ein Tabubruch, der für Aufsehen sorgte. Zugleich war damit die logische Zielgruppe definiert: eher junge, aufgeschlossene Menschen, deren Mittel beschränkt, dafür aber die Bereitschaft, Möbel selbst zusammenzubauen, groß waren. Bis heute gehört das Du zur Marke.

Das Beispiel demonstriert den traditionell hohen Stellenwert der korrekten Anrede in Österreich – und den unbefangeneren Umgang damit in Schweden. Das war jedoch auch dort nicht immer so: Ein relativ strenges Anredesystem wurde in Schweden erst in den 1960er-Jahren mit tatkräftiger Unterstützung der Behörden in einer „Du-Reform“ gestürzt. Inzwischen wird üblicherweise jeder unabhängig von seiner Position mit Vornamen angesprochen. Und so kann es sein, dass bei einem internationalen Geschäftsessen der Herr Hofrat aus Österreich Tilda gegenübersitzt, obwohl sie beide auf derselben hierarchischen Ebene agieren.

Muss das Anreden immer kompliziert sein?

Anreden sind häufig ein Minenfeld und viele Sprachen haben dafür eigene Systeme entwickelt. Während das Englische, wie so oft, relativ unkompliziert ist, findet sich am anderen Ende zum Beispiel Japanisch, wo es mehrere Höflichkeitsstufen bis hin zu eigenen Formulierungen für unterschiedliche Hierarchien gibt. Deshalb haben Visitenkarte eine besondere Bedeutung, da selbst die perfekte Begrüßung der Kenntnis der eigenen Position in Bezug zum Gegenüber bedarf. Im europäischen Sprachraum ist es vor allem die Unterscheidung von Du und Sie, welche die Vertrautheit zwischen zwei Personen bemisst. Wenn man allerdings bedenkt, dass der ehemalige französische Präsident Franois Mitterand (1916 – 1996) seine langjährige Ehefrau bis zu seinem Tod siezte, wird deutlich, dass die Verwendung auch dazu dient, um sich und seine gesellschaftlichen Status abzugrenzen. Nicht zufällig kam das allgemeine Du über die Hippie-Bewegung in Mode, gegen die sich die bürgerliche Schicht bewusst abgrenzte. Die Wahl der Anrede hat also auch eine gesellschaftliche Implikation. Vereinfacht gesagt: Im Hilton wird gesiezt, in der Jugendherberge geduzt.

Per Sie oder per Du - die Anrede im Geschäftsleben

Du oder Sie?

Doch so einfach ist es nicht. Viele andere Komponenten bestimmen den Umgang mit dem Du. Selbst wenn wir uns auf Österreich beschränken, und das werden wir in diesem Blogartikel tun, gibt es etwa regionale Unterschiede. Als Faustregel gilt, dass je ländlicher und je weiter im Westen die Region liegt, desto weniger befremdlich ein Du auch gegenüber Fremden wahrgenommen wird. Dazu gehört auch die Regel, dass auf dem Berg alle per Du sind. In formelleren Kontexten begegnet man sich im Allgemeinen beim ersten Kennenlernen ab einem gewissen Alter hingegen mit Sie. Das ist der sichere Ausgangspunkt für alle Richtungen, in die sich die Kommunikation miteinander entwickeln kann.

Wie jedoch kommt man dann zur vertrauen Anrede und: Wer sollte den ersten Schritt machen? Lange Zeit waren das Geschlecht und das Alter ausschlaggebend: Frauen hatten das Privileg, Männern das Du-Wort anzubieten, Jüngere wurden durch Ältere dazu eingeladen. Durch das moderne Geschäftsleben und die allgemeine Liberalisierung hat sich das insofern geändert, als die Position zum bedeutenden Faktor geworden ist. Somit ist es der junge Vorgesetzte, der das Vorschlagsrecht gegenüber der langgedienten Mitarbeiterin hat. Doch sowohl in diesem Fall als auch im Kontakt mit kontinuierlichen Kooperationspartnern gilt es gut abzuwägen, ob tatsächlich die vertraute Anrede adäquat ist. Der Wechsel zum Du markiert eine Veränderung der Beziehung von einer rein formalen zu einer vertraulicheren. Das kann eine höhere Bindung erzeugen, den Stellenwert der Person hervorheben und manchmal dadurch Abläufe erleichtern. Gleichzeitig jedoch verschleiert das Du eine hierarchische Realität oder eine existierende Distanz, was in solchen Situationen zu Schwierigkeiten führen kann, in denen diese wieder verstärkt eine Rolle spielen (sollen). Und natürlich gilt: Ein Wechsel zurück zum Sie ist kaum oder nur als sehr einschneidende Maßnahme möglich.

Deshalb zwei Tipps für den beruflichen Kontext: 

  • Überlegen Sie im Vorfeld gut, wem Sie wann das Du-Wort anbieten. Ein guter Zeitpunkt ist dann, wenn die jeweiligen Positionen abgesichert und das daraus resultierende Verhältnis beiden Partnern klar ist.
  • Drängen Sie dem Gegenüber das Du nicht auf und wählen Sie eine Formulierung, in der auch eine Entscheidung dagegen ohne Gesichtsverlust möglich ist.

Du als Unternehmenskultur

Längst gibt es jedoch auch Unternehmen, in denen Du in bestimmten Abteilungen oder in der gesamten Organisation Teil der Kultur ist. Die Argumente dafür liegen auf der Hand: Der vertrautere Umgang miteinander fördert persönliche Beziehungen, die wiederum die Zusammenarbeit erleichtern, das Arbeitsklima ist entspannter, die Kommunikation verläuft auf Augenhöhe.

Es gibt jedoch auch die Kehrseite der Medaille: Mag man sich auch gut verstehen, es ist keine Voraussetzung, um gut miteinander arbeiten zu können. Doch durch das allgemeine Du kann genau diese Erwartungshaltung befördert werden. Mitarbeiter sind keine Familie und kein Freundeskreis, sondern Menschen, die miteinander eine Leistung erbringen, und die vielleicht auch das Bedürfnis haben, sich diejenigen auszusuchen, die sie als Zeichen ihrer besonderen Sympathie duzen wollen. Als Beispiel ist mir ein Zivildiener in Erinnerung, der am Anfang seiner Tätigkeit sehr erstaunt darüber war, alle duzen zu müssen, später dann darüber, dass er trotzdem Aufträge zu erledigen hatte.

In jedem Fall jedoch ist es mit dem Du allein nicht getan, es muss zur gesamten Betriebskultur passen. Das schließt insbesondere die Frage mit ein, wie flach Hierarchien sind, wie die interne Kommunikation prinzipiell geregelt ist und welchen Stellenwert das Team als sozialer Körper hat. Wenn der vertrauliche Ton nicht mit dem sonstigen Umgang miteinander übereinstimmt, führt das häufig zu Irritation und Frustration.

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Es muss nicht immer gleich das Du sein

Dieselben Überlegungen sollten in der Kooperation mit externen Partnern eine Rolle spielen. Dabei muss jedoch nicht immer sofort das Angebot, sich zu duzen, stehen, um eine sanfte Annäherung zu signalisieren. Eine Möglichkeit bietet sich etwa über Mails. So kann man etwa den eigenen Titel am Ende weglassen, auch oder gerade wenn er in der Signatur sichtbar ist. Auch der Wechsel von „Mit freundlichen Grüßen“ zu „Beste Grüße“ signalisiert, gekoppelt mit einem persönlichen Wunsch in der Grußformel, einen Schritt aufs Gegenüber zu. Wenn Sie sich diesbezüglich Anregungen für die Feinheiten in der schriftlichen Kommunikation holen wollen, informieren Sie sich doch über die entsprechenden Workshops und Seminare im bildungsraum!

Jedenfalls hat die Verwendung von Du oder Sie eine stärkere Wirkung, als wir manchmal wahrhaben wollen. Man kann damit eine Haltung transportieren, jemanden miteinschließen oder ausgrenzen und den Stand einer Beziehung sowohl interpersonell als auch nach außen definieren. Sie finden das übertrieben?

Dann hoffe ich, dass dir der Text gefallen hat und du dir was mitnehmen kannst, auch wenn du anderer Ansicht bist.

Martin Weber


Über den Autor

Mag. Martin Weber hat Sprachen (Französisch und Japanisch) studiert und ist seit mehr als 20 Jahren als Kommunikationstrainer tätig. Zuvor war er lange Zeit als Trainer im Pauker, der Schwesterfirma von bildungsraum, tätig.

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