Persönlichkeitsveränderung durch Sprache

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Andere Sprache – andere Persönlichkeit? Sind wir noch dieselben, wenn wir die Sprache wechseln? Warum fühlen wir uns in der einen Sprache plötzlich offener als in der anderen? Mit dem Phänomen „Persönlichkeitsveränderung durch Sprache“ beschäftigt sich die Sprachwissenschaft seit Jahrzehnten – und liefert einige interessante Einsichten.

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Mit jeder neu gelernten Sprache erwirbst du eine neue Seele.

Tschechisches Sprichwort

„Aber dich mag ich auch auf Deutsch“, versicherte mir meine Freundin, eine Englisch-Muttersprachlerin, die außerdem flüssig Deutsch, Französisch und Griechisch spricht. Ich musste schmunzeln. Sie hatte mir gerade eben erklärt, dass sie manche Menschen ab dem Moment, in dem diese beim Sprechen von Englisch auf Deutsch wechseln, einfach weniger sympathisch finde. Zuerst einmal war ich froh, dass wohl auch meine deutschsprachige Persönlichkeit akzeptabel war. Dann musste ich an all die akademischen Diskussionen denken, die man als Sprachprofi so miterlebt – denn ob sich mit der Sprache die Persönlichkeit eines Menschen ändert, ist in den Sprachwissenschaften seit Jahrzehnten Forschungsthema. Endgültig gelöst ist die Frage immer noch nicht. Dennoch gibt es schon einige aufschlussreiche Studien und interessante Ansätze zur „Persönlichkeitsveränderung durch Sprache“.

Persönlichkeitswandel - Erfahrungen eines Sprachprofis

Ich bin Übersetzerin für Englisch und Französisch mit Deutsch als Muttersprache. Meine Arbeitssprachen verwende ich täglich. Und ich kann sagen: Englisch aktiviert tatsächlich Teile meiner Persönlichkeit, die im Deutschen eher im Hintergrund bleiben. Mein englischsprachiges Ich hat zwar denselben Humor wie das deutschsprachige – der Wiener Schmäh bleibt da aber auf der Strecke. Zudem bin ich auf Englisch weniger zurückhaltend und bei Geschäftskontakten etwas legerer. Dafür bewahre ich auf Deutsch mehr Distanz gegenüber Fremden und bin mit den meisten Geschäftspartnern viel höflicher und korrekter im Umgang. 

Kennen Sie Ähnliches vielleicht von sich selbst? Dass manche Situationen in der einen Sprache leichter zu bewältigen sind als in der anderen? Dass manche Ausdrücke/Formulierungen Ihnen besser in Englisch als auf Deutsch gelingen, weil sie dann einfach mehr zu Ihnen passen? Ja? Dann gibt es dafür ein paar Erklärungen.

©tumsasedgars/Fotolia.com

Beim späteren Erlernen einer Fremdsprache

Wenn Menschen erst später im Leben eine Zweitsprache erlernt haben, dh. nicht zwei- oder mehrsprachig aufgewachsen sind, sind es oft praktische Aspekte, die dazu führen, dass sie sich in der neu erlernten Sprache anders fühlen als in der Muttersprache.

  • Eine neue Sprache: Jeder, der eine neue Sprache lernt, weiß: Es dauert ein Weilchen, bis man sich gewählt und subtil ausdrücken kann. Da einem das Vokabular, die Grammatik und das Kulturwissen anfangs noch fehlen, drückt man sich fast gezwungenermaßen unverblümter als beabsichtigt aus; und vermittelt mitunter auch auf andere einen direkteren Eindruck.
  • Fluchen: In einigen Sprachen ist Fluchen akzeptierter als in anderen. Natürlich bietet jede Sprache ihr ganz eigenes Repertoire an kreativen Kraftausdrücken, dennoch gibt es hier starke kulturelle Unterschiede. Es kann leicht passieren, dass man sich in einer Sprache unhöflicher fühlt als in der anderen, dafür in der anderen vielleicht etwas zu steif. Beispielsweise ist das australisch-englische „bloody“ als Adjektiv durchaus unproblematisch im täglichen Sprachgebrauch- obwohl es eigentlich ein Schimpfwort ist.

Mehrsprachigkeit ungleich Multikulturalismus

Was sagt nun die Wissenschaft zum Thema „andere Sprache – andere Persönlichkeit“? François Grosjean, renommierter Psycholinguistiker sagt dazu Folgendes: Die „Sprachpersönlichkeit“ habe vornehmlich damit zu tun, ob man als mehrsprachiger Mensch in bloß einer Kultur oder ob man tatsächlich multikulturell aufgewachsen ist. Was als Persönlichkeitswandel wahrgenommen wird, ist in Wirklichkeit nur eine Anpassung an kulturell bedingte Verhaltensweisen und Geisteshaltungen, die mit einem bestimmten Kontext einhergehen – unabhängig von der Sprache. Kurz: Bikulturelle Zweisprachige verhalten sich einfach bikulturell.

Aber: Ähnliches ist auch Menschen bekannt, die in „bloß“ einer Kultur sozialisiert wurden. Denken Sie daran, wie Sie mit Ihren Vorgesetzten sprechen – und jetzt an das letzte Telefonat mit Ihrer Mutter. Mit hoher Wahrscheinlichkeit haben Sie die Dinge entsprechend der Situation formuliert. Einige Aspekte Ihrer Persönlichkeit sind – abhängig vom Kontext – zugunsten von anderen in den Hintergrund getreten. Also doch keine Persönlichkeitsveränderung durch Sprachwechsel? Wie erklärt es sich dann, dass ich mich auf Englisch tatsächlich anders fühle als auf Deutsch? 

Persönlichkeitsveränderung durch Sprache

Persönlichkeitsveränderung durch Sprache? Eine Frage der emotionalen Kompetenz

Auf seine Behauptung, dass zwischen Sprache und Persönlichkeit keine direkte Verbindung existiere, erhielt Grosjean viele Reaktionen. Rund ein Drittel der (meist zweisprachigen) Personen antwortete ihm, in der Tat keinen Persönlichkeitswandel zu durchleben; ein Drittel erwähnte diesen Aspekt nicht; das letzte Drittel aber behauptete, dass sich ein Sprachwechsel sehr wohl auf die Persönlichkeit auswirke. Aber wie kann das sein?

Die Forscherin Katarzyna Ożańska-Ponikwia untersuchte genau die Gründe, warum sich manche Menschen je nach Sprache anders fühlen, manche wiederum nicht. Dabei erforschte sie rund 100 sowohl zweisprachig aufgewachsene Menschen sowie Menschen, die sich erst später im Leben eine zweite Sprache angeeignet hatten. Die Teilnehmer mussten Fragebögen zur Persönlichkeit ausfüllen und Aussagen wie „Ich fühle mich, als wäre ich jemand anderes, wenn ich Englisch spreche“ oder „Laut Freunden bin ich jemand anderes, wenn ich Englisch spreche“ auf einer Skala bewerten.
Ihre Ergebnisse zeigten: Es sprachen diejenigen Menschen von einer Persönlichkeitswandlung beim Sprachenwechsel, die hohe emotionale Kompetenzen (z. B. Empathie, Emotionalität, Geselligkeit) aufwiesen. Denn diese Charaktereigenschaften und Kompetenzen ermöglichten es ihnen, den Persönlichkeitswandel auch bewusst zu bemerken. Somit ist es durchaus möglich, dass auch Menschen, die sich in der Zweit-/Fremdsprache nicht anders wahrnehmen, durchaus je nach Sprache verschiedene Charaktereigenschaften zum Ausdruck bringen. Sie sind ihnen bloß nicht bewusst.

Obwohl dies eine interessante Erkenntnis ist, ist sie nicht der Weisheit letzter Schluss. Aufgrund der Komplexität des Themas wird die Forschung noch lange damit beschäftigt sein. Denn auch laut Ożańska-Ponikwia zeigen die Resultate der Studie, auf welch komplexe Weise Sprache, Kultur und Emotionen in Beziehung zueinander stehen. 

Und wer sind Sie auf Englisch/Russisch/Chinesisch ...?

Falls Sie noch nicht bemerkt haben, dass Ihr bspw. italienisches Ich einen anderen Charakter hat, lade ich Sie dazu ein, sich selbst in dieser Sprache zu beobachten. Sind Ihre Begrüßungen herzlicher? Welchen Humor haben Sie? Was sind Ihre Lieblingsausdrücke? Vielleicht entdecken Sie ja durch Ihre Sprachen Seiten an sich, die Sie dann gerne in Ihr muttersprachliches Ich integrieren wollen.

Tanja Feldhofer - bildungsraum Bloggerin

Über die Autorin

Tanja Feldhofer ist freiberufliche Übersetzerin und hat somit ihre Leidenschaft für Sprachen zum Beruf gemacht. Tatsächlich dreht sich auch ein beträchtlicher Teil ihrer Freizeit um das geschriebene Wort und um Weiterbildung im allgemeinen. Ihr Wissensdurst scheint unstillbar. Für bildungsraum verfasst sie Blogbeiträge und erstellt Texte aller Art.

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